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Entscheidung der Woche 06-2019 (ÖR)

Alina Amin

Die Allgemeinverfügung der Bundespolizeidirektion Berlin zum Verbot des Mitführens von gefährlichen Werkzeugen über das gesetzlich bestehende Waffenverbot hinaus in Zügen und auf den Bahnhöfen wird vorerst suspendiert.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: VG Berlin, VG 1 L 363.18

in: dejure.org

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

Die Allgemeinverfügung der Bundespolizeidirektion Berlin zum Verbot des Mitführens von gefährlichen Werkzeugen über das gesetzlich bestehende Waffenverbot hinaus in Zügen und auf den Bahnhöfen wird vorerst suspendiert.


B. Sachverhalt (verkürzt)

Im Jahr 2018 stiegen die Gewalttaten in bestimmten Bereichen Berlins um 6,1 % im Vergleich zum Vorjahr. Als Konsequenz erließ die Bundespolizeidirektion Berlin am 16. Oktober 2018 eine Allgemeinverfügung zum Verbot des Mitführens von gefährlichen Werkzeugen über das gesetzliche Waffenverbot hinaus in Zügen und Bahnhöfen unter Androhung eines Zwangsgeldes (AV). Als Werkzeug gilt nach der AV jeder Gegenstand, der durch menschliche Kraft gegen einen Körper in Bewegung gesetzt werden kann, um ihn zu verletzen. Gefährlich ist nach der AV ein Werkzeug, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art und seiner konkreten Anwendung als Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Beispielhaft werden Messer, Baseballschläger und Beile genannt. Gegenstände, die zum häuslichen Gebrauch oder beruflichen Zwecken mitgeführt werde, wurden ausgenommen. Die sofortige Vollziehbarkeit gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wurde angeordnet.

Der Antragsteller legte am 16. Oktober 2018 gegen die AV Widerspruch ein, über den bislang noch nicht entschieden ist. Am selben Tag beantragte er beim Verwaltungsgericht, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs wiederherzustellen. Zur Begründung führt er an, die AV stelle eine Verletzung der Grundrechte dar, weil verdachtsunabhängige Kontrollen durchgeführt würden.


C. Anmerkungen

Das VG erklärt den Antrag für zulässig. An der Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung bestünden erhebliche Zweifel. In erster Linie sei die Allgemeinverfügung nicht hinreichend bestimmt. Vor allem der Begriff „Werkzeug“ werfe Fragen auf. Laut VG sei nicht klar feststellbar, welche Gegenstände wirklich erfasst sein sollten. Während sich der Begriff des gefährlichen Werkzeugs im Strafrecht nachträglich ermitteln lasse, weil sich die Gefährlichkeit aus dem konkreten Einsatz in einer bestimmten Situation ergebe, sei dies bei Verboten zum Zwecke der Gefahrenabwehr im Vorhinein nicht möglich. Unbestimmt sei zudem, unter welchen Voraussetzungen das gefährliche Werkzeug „benutzt“ werde. Das Mitführen solcher Gegenstände „zum häuslichen Gebrauch“ ist zwar erlaubt, nur sei es schwer ermittelbar, wann diese Ausnahme vorläge.

Zu beanstanden sei die Verfügung auch deshalb, weil sie den Anforderungen an die Prognose für das Eintreten einer Gefahr nicht genüge. Viele Gegenstände seien oft erst durch ihre konkrete Verwendung gefährlich. Der Besitz und das Führen dieser Gegenstände würde für sich genommen die Gefahrenschwelle nicht überschreiten. Gewalttaten entstünden schließlich erstmal bei der menschlichen Willensbildung. Aus den statistischen Angaben der Bundespolizei zu Gewalttaten im Jahr 2018 folge laut Gericht nichts Anderes. Letztlich richte sich die Allgemeinverfügung an den falschen Adressatenkreis, denn von Personen, die Werkzeuge nicht in gefährlicher Weise benutzten, gehe keine Gefahr aus. Als Nichtstörer könnten diese schließlich nicht in Anspruch genommen werden, weil es an den dazu notwendigen qualifizierten Voraussetzungen fehle.


D. In der Prüfung

§ 80 V VwGO

I. Zulässigkeit

II. Begründetheit

1. Formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung

2. Abwägung zwischen Suspensivinteresse des Antragstellers und Vollzugsinteresse der Allgemeinheit

Hier: Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung (!)


E. Zur Vertiefung

Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Auflage, München 2018, § 33.

 

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