Entscheidung der Woche 07-2025 (ÖR)

Janek Alexander Steinert
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt die Verbreitung von Meinungen und Tatsachen unabhängig von Form und Kommunikationsmittel.
Auch Werturteile sind grundrechtlich geschützt, dieser Schutz erstreckt sich auch auf Aussagen die polemisch oder verletzend sind.
Aktenzeichen und Fundstelle
Az.: BVerfG 1 BvR 1182/24
Fundstelle: openJur 2025, 8557
A. Orientierungs - oder Leitsätze
1. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt die Verbreitung von Meinungen und Tatsachen unabhängig von Form und Kommunikationsmittel.
Auch Werturteile sind grundrechtlich geschützt, dieser Schutz erstreckt sich auch auf Aussagen die polemisch oder verletztend sind.
2. Auch wenn Tatsachenbehauptung per Definition keine Meinungen
sind, fallen sie insoweit in den Schutzbereich der Meinungsäußerungen, soweit sie Vorraussetzung für die Bildung von Meinungen sind.
3. Der Schutz der Meinungsfreiheit für Tatsachenbehauptungen endet erst dort, wo sie zur Meinungsbildung nichts beitragen können.
4. Jede Deutung einer Aussage muss den Kontext ihrer Aussage mit einbeziehen. Ihr darf kein Sinn zugemessen werden, den sie objektiv nicht haben kann. Es ist weder der subjektive Wille des Äußernden noch das subjektive Verständnis des Betroffenen entscheidend. Es zählt lediglich die Wirkung auf einen objektiven Dritten.
B. Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin führte 2019 einen Rechtsstreit mit einer Versicherung. Hierfür beauftragte sie einen Anwalt mit Ihrer rechtlichen Vertretung. Im Verlauf des Verfahrens war die Beschwerdeführerin unzufrieden mit der Arbeit des Anwalts und schrieb diesem am 31. Juli 2019 um 13:32 eine E-Mail, deren Inhalt lautete: "Ich habe das Gefühl, dass sie bauen mir absichtlich die Schaden". Kurz darauf, am 2. August 2019 gegen 21:45 schrieb sie ihm: "Sie bauen mir absichtlich Schaden". Am 26. September 2019 um 17:47 folgte ihrerseiten eine E-Mail in der es hieß. "Weil sie mich mit Ihrem Geldschleichen versuchen zu betrogen (...)".
Zuletzt, am 8. Oktober 2019, schrieb sie um 23:02 "jetzt werden wir ihre Betrug klären, ihre Inkompetenz (...)". Für diese Aussagen wurde die unbestrafte Beschwerdeführerin im Jahr 2020 wegen Beleidigung gem. § 185 StGB in vier Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 1500€ in 50 Tagessätzen von je 30€ verurteilt. Das Amtsgericht warf der Beschwerdeführerin vor den Geschädigten in seiner Ehre verletzt zu haben, indem sie diesem vorwarf gegen sie zu arbeiten, was ein strafbares Verhalten wäre. Der Anwalt wurde von ihr vor der Anwaltskammer gemeldet, welche aber kein Vergehen des Anwalts feststellte.
Die gerichtliche Berufung der Angeklagten vor dem Landgericht blieb ohne Erfolg. Auch ihre Revision vor dem Oberlandesgericht wurde
als unbegründet verworfen.
Sie erhob Beschwerde gegen die Entscheidungen aller drei Instanzen und sieht sich in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt.
C. Anmerkungen
Die Entscheidungen genügen nicht den verfassungsgerichtlichen Maßstäben.
Die gerichtlichen Entscheidungen lassen nicht erkennen ob die rechtliche Wurdigung des Falles auf die Annahme einer Tatsachenbehauptung oder die einer Meinungsäußerung stützen.
Die Gerichte sprachen davon, dass die Beschwerdeführerin den Betroffenen
einer Straftat bezichtigte, dies lässt auf die Annahme einer Tatsachenbehauptung schließen.
Die Aussage, dass jemand einen Betrug begehe, kann abhängig vom Kontext durch Elemente einer Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sein. Es fehlt eine Begründung ob der juristische Begriff, welcher auch umgangssprachlich verwendet wird, auch tatsächlich als Vorwurf eines Straftatbestandes bestimmt war.
Das Gleiche gilt für die anderen Nachrichten, die die Beschwerdeführerin
verfasste.
Das Vorliegen von Schmähkritik ist nicht ersichtlich und wurde von den Gerichten richtigerweise nicht angenommen.
Um den verfassungsgerichtlichen Maßstäben zu entsprechen wäre eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit der Betroffenen und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen nötig gewesen.
Diese hätte besonders die auf strafrechtlich relevantes Verhalten hindeutenden Aussagen der Beschwerdeführerin, die fehlende Öffentlichkeit der Äußerungen und die persönliche Betroffenheit der Beschwerdeführerin
durch den Rechtsstreit beachten müssen.
Eine solche wurde nicht vorgenommen, insgesamt fehlte es an einer Kontextspezifischen Würdigung.
Die Entscheidungen der Gerichte sind aufzuheben und die Sache ist vom Amtsgericht neu zu entscheiden.
D. In der Prüfung
A. Zulässigkeit der Klage
I. Zuständigkeit des BVerfG (+)
II. Beschwerdefähigkei (+)
III. Beschwerdegegenstand (+)
IV. Bescherdebefugnis (+)
V. Rechtswergerschöpfung (+)
VI. Form und Frist (+)
1. Begrundetel
I. Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 GG
1. Schutzbereich (+)
Eingriff (+)
Rechtfertigung (-)
C. Ergebnis (+)
E. Literaturhinweis
https://openjur.de/u/2510398.html