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Entscheidung der Woche 10-2025 (ÖR)

Pierre Watermann

Das Recht auf individuelle Grabgestaltung unterliegt den Beschränkungen, die sich aus dem Gemeinschaftscharakter des Friedhofs ergeben. Hierbei sind auch die Grundrechte anderer Friedhofsnutzer zu beachten.

Aktenzeichen und Fundstelle

Az.: VGH Mannheim - Az. 1 S 800/24

Fundstelle: LSK 2024, 27095

 

A. Orientierungs - oder Leitsätze

1. Das Recht auf individuelle Grabgestaltung unterliegt den Beschränkungen, die sich aus dem Gemeinschaftscharakter des Friedhofs ergeben. Hierbei sind auch die Grundrechte anderer Friedhofsnutzer zu beachten.

2. Der Friedhofszweck des ungestörten Totengedenkens und der Würde des Friedhofs ist auch Ausdruck grundrechtlicher Positionen Dritter, die im Wege der praktischen Konkordanz im Rahmen der Religions- und Meinungsfreiheit der Grabnutzungsberechtigten Berücksichtigung finden können.


B. Sachverhalt

Die Kläger (Angehörige des Grabbewohners) ließen auf dem genannten Grab, ohne vorherige Prüfung, durch die Beklagte ein 1,55m hohes Grabmal in Gestalt eines Abbilds des Verstorbenen in weiß, gelb, orange und rot errichten. Die Friedhofsverwaltung erreichten mehrere Beschwerden von anderen Besuchern des Friedhofs. Diese brachten zum Ausdruck, dass sie sich durch die aufällige Gestaltung der Grabskulptur gestört fühlten. Nach mehreren gescheiterten Kompromissversuchen folgte schließlich eine Beseitigungsverfügung.


Zur Begründung berief sich die Beklagte auf einen Verstoß gegen §§ 15, 17, 21 Friedhofssatzung (FS). Die Ausführung des Grabmales sei rechtswidrig, da die Genehmigungserfordernis nicht erfüllt sei und sie der Würde des Friedhofs nicht entspreche. Durch die grelle Farbgebung, die Größe der Figur und die figürliche Darstellung des Verstorbenen sei der Eindruck so aufdringlich, dass sich andere Trauernde der Wirkung nicht entziehen könnten.


Die Angehörigen zogen daraufhin vor das VG Stuttgart. Sie begehrten die Erteilung einer Genehmigung für das bereits errichtete Grabmal und wendeten sich gegen die Verfügung der Beklagten, dieses zu beseitigen. Sie trugen vor, die Verfügungen der Beklagten verletze sie in ihren Grundrechten aus Art. 2 GG und Art. 4 GG, in ihrem Totenfürsorgerecht und zugleich werde eine Verletzung der Würde des Verstorbenen (Art. 1 GG) gerügt. Die Vorschrift des § 15 FS sei insbesondere zu unbestimmt und daher bereits nichtig.


Das Verwaltungsgericht Stuttgart entschied erstinstanzlich, dass die Skulptur andere Besucher in ihren Rechten, vor allem deren Relegionsfreiheit, einschränke und die Beseitigungsverfügung rechtmäßig sei. Dagegen legten die Angehörigen Berufung beim VGH Mannheim ein.


C. Anmerkungen

Der VGH begründet wie folgt:

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16. April 2024 - Az. 6 K 943/23 - wird abgelehnt.


Danach seien § 15 FS und § 14 BestattG Baden-Württemberg gegen die von den Angehörigen geltend gemachte Relegionsfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und die Kunstfreiheit gem Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG abzuwägen.


§ 15 FS bestimme, das Grabmale "der Würde des Friedhofs in seinen einzelnen Teilen und in seiner Gesamtanlage entsprechen" müsse. Ähnliches sieht § 14 BestattG vor: "Gestaltung und Ausstattung der Grabstätten müssen der Würde des Ortes entsprechen. Grundsätzlich sei man daher berechtigt, eine Grabstätte "in einer ihrem ästhetischen oder religiösen Empfinden entsprechenden Weise zu gestalten". Jedoch nur insoweit, dass dieses Recht seine Grenze in den Rechten Dritter finde, der Anstaltszweck des Friedhofs also gewahrt werden müsse. Dieser bestünde darin, Sorge für eine würdige Totenbestattung zu tragen und Friedhofsbesuchern einen Ort der Andacht zu gewähren.


Der Zweck eines Friedhofs sei also, die Möglichkeit zu schaffen, ungestört den Totn zu gedenken. Für die Erreichung dieses Zwecks sei der Friedhofsträger verantwortlich. Damit einher ginge die Schaffung von Gestaltungsvorschriften.


Da es sich bei einem Friedhof um eine Ansammlung von verschiedenen Grabflächen handelt, kann die einzelne Grabstätte dabei nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist immer im Kontext mit den anderen Grabstätten zu sehen. Das äußere Bild des Friedhofs wird auch durch das Aussehen einzelner Grabstätten mitbestimmt. Hierbei ist zu beachten, dass sich alle Friedhofsnutzer auf die jeweils einschlägigen Grundrechte, z.B. der allgemeinen Handlungsfreiheit und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts berufen können. Wie die Kläger zu Recht vortragen, müssen Nutzer eines Friedhofs insoweit eine Grundspannung aushalten.


Das Recht auf individuelle Grabgestaltung kann aufgrund des Gemeinschaftsbezugs jedoch nicht schrankenlos sein, sondern unterliegt den Beschränkungen, die sich aus dem Gemeinschaftscharakter des Friedhofs ergeben. Hierdurch sollen Spannungen ausgeglichen werden, die durch naturgemäß differierende, religiöse und künstlerisch-ästhetische Meinungen einer Vielzahl von Nutzern, wie sie auf Friedhöfen zusammentreffen, bestehen.


In der Folge bestätigt der VGH Mannheim das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang: Die Skulptur sei mit ihren 1,55 Metern zu groß, zu leuchtend, zu auffällig. Sie ziehe damit zu viel Aufmerksamkeit auf sich, wodurch ein ungestörtes Totengedenken für die anderen Friedhofsbesucher nicht mehr möglich sei. Die Beseitigungsverfügung ist rechtmäßig.


D. In der Prüfung

A. Zulässigkeit

B. Begründetheit

I. Rechtsgrundlage für Beseitigungsverfügung

II. formelle Rechtsmäßigkeit

III. materielle Rechtsmäßigkeit

1. formelle + materielle Illegalität

2. Ermessen - insb. Verhältnismäßigkeit


E. Literaturhinweise

LSK 2024, 27095

DOV 2029.8.88

BeckRS 2024, 27095

 

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