Entscheidung der Woche 12-2025 (SR)

Pauline Wendt
Die Abgrenzung zwischen Vorsatz oder (bewusster) Fahrlässigkeit setzt eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände voraus. Dabei ist regelmäßig das voluntative Vorsatzelement zu beachten, im Besonderen Umstände des Tatgeschehens wie die Angriffsweise oder die Motivation des Täters bei Tatbegehung.
Aktenzeichen und Fundstelle
Az.: BGH 2 StR 531/23
Fundstelle: RuP 2024, 173 - 175, NStZ. 2024, 676 - 677
A. Orientierungs - oder Leitsätze
1. Die Abgrenzung zwischen Vorsatz oder (bewusster) Fahrlässigkeit setzt eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände voraus. Dabei ist regelmäßig das voluntative Vorsatzelement zu beachten, im Besonderen Umstände des Tatgeschehens wie die Angriffsweise oder die Motivation des Täters bei Tatbegehung.
2. Der Körperverletzungsvorsatz gem. § 224 I Nr. 5 StGB setzt neben einem bedingten Verletzungsvorsatz auch voraus, dass der Täter die Umstände für die allgemeine Gefährlichkeit seines Tuns in der konkreten Situation für das Leben des Opfers erkannt hat.
B. Sachverhalt
Die Angeklagte war in ihrer Therapieeinrichtung, in welcher sie sich wegen einer Drogen- und Alkoholabhängigkeit aufhielt, über die Weihnachtstage beurlaubt. Sie traf sich in dieser Zeit mit dem Geschädigten, mit welchem sie zwei Liter Wodka konsumierte, bevor sie gegen 18 Uhr gemeinsam beschlossen in den Rhein zu springen. Die Möglichkeit eines Ausstiegs aus dem Rhein bot sich an der gemeinsam gewählten Stelle nicht. Die Angeklagte sendete einer Freundin eine Videobotschaft, welche verlauten lies, dass die Angeklagte Lust darauf hätte, in den Rhein zu springen. In einer weiteren Sprachnachricht der Angeklagten teilte diese ihrer Freundin mit, dass sie ihre Freundin mag, ihnen (der Angeklagten und dem Geschädigten) aber nichts passieren werde. Sie würden nur kurz in den Rhein springen und dann wieder heraus kommen.
Der Geschädigte überkletterte die Brüstung an der Stelle zuerst, sprang jedoch nicht sofort. Die Angeklagte stoß den Geschädigten - was für diesen völlig überraschend war - mit beiden Händen gegen den Rücken, damit sie hinterher springen konnte. Der Geschädigte stürzte ca. 2 Meter tief in das 7,7 °C kalte Wasser.
Aufgrund des niedrigen Wasserstandes, der ebenfalls niedrigen Wassertemperatur, der Strömung des Flusses und der nicht vorhandenen Ausstiegsmöglichkeiten, war der Sturz geeignet das Leben des Geschädigten zu gefährden. Die Angeklagte war früher bereits einmal im Rhein geschwommen, wonach ihr die Geeignetheit der Lebensgefährdung bewusst war. Die Angeklagte versuchte dem Geschädigten zu Hilfe zu eilen, als sie die Ernsthaftigkeit seiner Lage erkannt und ihn im Wasser lokalisiert hatte. Passanten hinderten die Angeklagte jedoch daran, in das Wasser zu klettern, um dem Geschädigten zu helfen.
Rettungskräfte zogen den Geschädigten nach etwa zehn Minuten, in denen er sich kaum noch an einer Stahlkette halten konnte, aus dem Wasser. Er trug keine Langzeitfolgen davon. Die Angeklagte hatte um 23 Uhr eine BAK von 2,42 Promille.
C. Anmerkungen
Der BGH befasst sich im vorliegenden Fall mit den Anforderungen an den Körperverletzungsvorsatz im Rahmen des § 244 1 Nr. 3 StGB in Bezug auf die Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit.
Unterscheidendes Kriterium in der Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit sei, dass der Handelnde bei bewusster Fahrlässigkeit mit dem möglichen Eintritt einer Folge nicht einverstanden sei und deshalb auf deren Nichteintritt vertraue. Mit bedingtem Vorsatz hingegen handele, wer mit dem eintretenden Erfolg dahingehend einverstanden sei, dass er diesen billigend in Kauf nehme oder sich zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Um diese zwei Konstellationen in einer Prüfung voneinander abgrenzen zu können, sei eine Würdigung aller objektiven und subjektiven Umstände erforderlich.
Vor allem sei bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig eine
Betrachtung der Umstände hinsichtlich des Tatgeschehens, also der Angriffsweise und der Umstände der Tatbegehung wie die psychische Verfassung des Täters und seine Motivation, erforderlich. Eine Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit sei in diesem Fall notwendig, da die Angeklagte ausgehend von ihren Chatnachrichten davon ausging, dass ihr und dem Geschädigten nichts passieren werde.
Zudem hätte sie den Geschädigten geschubst, um hinterher springen zu können und sofort mit Rettungsmaßnahmen begonnen, nachdem sie die Ernsthaftigkeit seiner Situation erkannt hatte.
Bezüglich des subjektiven Tatbestands der gefährlichen Körperverletzung in der Variante einer das Leben gefährdenden Behandlung nach § 224 1 Nr. 5 StGB reiche bedingter Vorsatz nicht. Es sei neben bedingtem Vorsatz auch erforderlich, dass der Täter die Umstände erkenne, welche die allgemeine Gefährlichkeit des Handelns für das Leben des Opfers in der konkreten Tatsituation ergeben. Eine Bewertung der Umstände des Täters hinsichtlich der allgemeinen Gefährlichkeit seines Handelns sei nicht zwingend, jedoch müsse das Handeln nach der Vorstellung des Täters auf die Lebensgefährdung angelegt sein. Die Handlung der Angeklagten wäre nach ihrer Vorstellung nicht auf eine Lebensgefährdung des Geschädigten angelegt gewesen. Vor allem die Begründung, die Angeklagte sei schon einmal im Rhein geschwommen, sage nichts.
D. In der Prüfung
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
Grunddelikt: § 223 I StGB
§ 224 1 Nr. 5 StGB
2. Subjektiver Tatbestand
E. Literaturhinweise
Hardtung, MüKo StGB, § 224 Rn. 52.
Rengier, Strafrecht BT II, § 14 Rn. 58.