Entscheidung der Woche 34-2019 (ZR)
Patrick Glatz
Schließt ein Verbraucher mit einem Online-Händler einen Kaufvertrag über eine neue Matratze, die ihm mit einer Schutzfolie versiegelt geliefert wird, handelt es sich hierbei nicht um einen Vertrag zur Lieferung versiegelter Waren gem. § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB.
Aktenzeichen & Fundstelle
Az.: BGH VIII ZR 194/16
in: WM 2019, 1450
BB 2019, 1807
A. Leitsatz
Schließt ein Verbraucher mit einem Online-Händler einen Kaufvertrag über eine neue Matratze, die ihm mit einer Schutzfolie versiegelt geliefert wird, handelt es sich hierbei nicht um einen Vertrag zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wird (§ 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB). Dem Verbraucher steht daher auch dann das Recht zu, seine auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung gemäß § 312g Abs. 1 BGB zu widerrufen, wenn er die Schutzfolie entfernt hat.
B. Sachverhalt (verkürzt)
K bestellte zu privaten Zwecken bei der Onlinehändlerin O eine Matratze über die Website der O. In den AGB der O heißt es: „ (…). Wir tragen die Kosten der Rücksendung der Ware. (…). Ihr Widerrufsrecht erlischt in folgenden Fällen vorzeitig: Bei Verträgen zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde.“
Die Matratze war bei Lieferung durch O mit einer Schutzfolie versiegelt, die K entfernte. Nachdem K innerhalb der Widerrufsfrist festgestellt hatte, dass er die Matratze doch nicht wolle, dies gegenüber O erklärte und somit seine Willenserklärung widerrief, sandte er die Matratze mittels Spedition zurück. O hatte die Rücksendung nicht veranlasst. O ist der Ansicht, dass sie weder die Transportkosten noch den Kaufpreis erstatten müsse, da der Widerruf nicht wirksam sei. K bringt vor, dass eine Matratze im Fernabsatz nicht dem Ausschluss des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB unterliegt und verlangt die Erstattung des Kaufpreises und der Transportkosten.
C. Anmerkungen
Das Urteil des BGH folgt einem Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH. Art. 16 lit. e der Verbraucherrechtrichtlinie statuiert die Ausnahmen vom Widerrufsrecht und ist in § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB im nationalen Recht geregelt. Gegenstand war somit die Frage der Auslegung des Begriffs „aus hygienischen Gründen“. Der BGH hatte dem EuGH unter anderem die Frage vorgelegt, ob Art. 16 lit. e der Verbraucherrechtrichtlinie dahingehend auszulegen sei, dass zu den dort genannten Waren auch Matratzen gehören, die zwar in unmittelbarem Kontakt mit dem menschlichen Körper kommen, aber durch geeignete Reinigungsmaßnahmen des Unternehmers wieder verkehrsfähig gemacht werden können.
Der BGH hält, dem EuGH folgend, fest, dass Matratzen nicht unter den Ausschluss des § 321g Abs. 2 Nr. 3 BGB fallen. Das eingeräumte Widerrufsrecht diene gerade dazu, dem Käufer bei Waren im Fernabsatzhandel, die nicht vorher besichtigt werden können, eine Bedenkzeit für das Behalten der Ware einzuräumen. Ein Ausschluss aus hygienischen Gründen greift nicht, da Matratzen, ähnlich wie Kleidung, mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen, aber nach einer Reinigung und Desinfektion durch den Unternehmer wieder verkehrsfähig gemacht werden können. Art. 16 lit. e der Richtlinie und da-mit korrespondierend der § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB sind als Ausnahmetatbestand vom allgemeinen Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen eng auszulegen.
D. In der Prüfung
I. Anspruch aus §§ 312g Abs. 1, 355 Abs. 1 BGB
1. Widerrufsrecht
2. Widerrufserklärung
3. Kein Ausschluss des Widerrufsrechts
a) Ausschluss nach § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB
b) andere Ausschlussgründe
4. Rechtsfolge
E. Zur Vertiefung
Medicus/Lorenz, Schuldrecht I AT, 21. Auflage 2015, § 48 Rn. 616ff.;
Museliak/Hau, Grundkurs BGB, 15. Auflage 2017, § 6 Rn. 708ff.;
Sesing/Baumann, Der Ausschluss des Widerrufsrechts für versiegelte Hygieneartikel, VuR 2017, 415ff.;
Schirmbacher, Gesundheitsschutz und Hygiene: Wann der Bruch einer Versiegelung das Widerrufsrecht im Versandhandel zum Erlöschen bringt, BB 2019, 969ff.