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Entscheidung der Woche 34-2024 (SR)

Johanna Lange

Die Pflicht, den Angreifer so weit zu schonen, wie dies im Rahmen einer effektiven Verteidigung möglich ist, ist nicht nur bei der Wahl des Mittels als solchem zu beachten, sondern auch bei der konkreten Ausgestaltung des Einsatzes des Mittels einschließlich dessen Intensität und Dauer.

Aktenzeichen und Fundstelle

Az.: BayObLG, Beschluss vom 12.03.2024 - 203 StRR 73/24

Fundstelle: openJur 2024, 2920

 

A. (redaktionell veränderte) Orientierungs - oder Leitsätze

1. Nothilfe ist nichts anderes als Notwehr zu Gunsten eines Dritten und unterliegt denselben Voraussetzungen.

2. Die Pflicht, den Angreifer so weit zu schonen, wie dies im Rahmen einer effektiven Verteidigung möglich ist, ist nicht nur bei der Wahl des Mittels als solchem zu beachten, sondern auch bei der konkreten Ausgestaltung des Einsatzes des Mittels einschließlich dessen Intensität und Dauer.

3. Maßgeblich ist die konkrete Kampflage. Der Rahmen erforderlicher Verteidigung wird durch die gesamten Umstände bestimmt, unter welchen Angriff und Abwehr sich abspielten.


B. Sachverhalt

A beobachtet, wie T und U sich heftig streiten und U seines Empfindens nach in Gefahr ist. Er beschließt, dem U zu helfen und streckt den T mit einem heftigen Faustschlag gegen den Kopf nieder. T erleidet davon mehrere schwere Verletzungen. Später gibt T an, dass U ihn gegen die Wand gedrückt habe; an alles Weitere könne er sich nicht mehr erinnern.

Handelte A aus Nothilfe gem. § 32 Abs. 1, Abs. 2 2. Alt. StGB, da er den T als Angreifer wahrnahm und dem U helfen wollte und ist somit von einer gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zu rechtfertigen?


C. Anmerkungen

Der Tatbestand von §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist durch den des lebensgefährdenden Schlag gegen den Kopf des T erfüllt.


Für eine Rechtfertigung nach § 32 Abs. 1, Abs. 2 2. Alt. StGB muss eine Nothilfelage bestanden haben, die durch eine geeignete und gebotene Nothilfehandlung zumindest aufgelöst hätte werden können.

Eine Nothilfelage liegt vor, wenn ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf eine andere Person vorliegt. Aufgrund der Aussage des T sich an nichts Weiteres erinnern zu können, ist es nicht ausgeschlossen, dass das von A bemerkte Hin und Her zwischen T und U so stattgefunden hat. Somit kann es nicht ausgeschlossen werden, dass T angegriffen hat. Weitere Umstände konnten nicht geklärt werden. Es wird im Folgenden davon ausgegangen, dass A den U aus einer solchen Nothilfelage befreien wollte.


Die erfolgte Nothilfehandlung müsste geeignet, das mildeste Mittel und geboten gewesen sein.

Der Schlag auf den Kopf war geeignet, den Angriff des T mit sofortiger und endgültiger Wirkung zu beenden. Das Erfordernis des relativ mildesten Mittels bedeutet, dass der Verteidiger unter mehreren ihm zur Verfügung stehenden gleich effektiven Mitteln dasjenige wählen muss, das den Angreifer am wenigsten schädigt. Dabei hat der Eingreifende den Angreifer so weit zu schonen, wie dies im Rahmen der effektiven Verteidigung möglich ist und dies auch bei der konkreten Ausgestaltung des Einsatzes einschließlich der Intensität und Dauer zu berücksichtigen. Dies wird aus einer ex ante Sicht beurteilt. Maßgeblich dafür ist die konkrete Kampflage, also unter welchen Umständen sich Angriff und Abwehr abspielten und auch durch die Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen. A setzte den Schlag ein, während augenscheinlich der Streit zwischen T und U in einer größeren Gruppe losging. Dem A standen damit schonendere Mittel zu Verfügung, etwa die Androhung eines Einschreitens zur Unterstützung des U, ein Dazwischentreten oder auch ein weniger heftig geführter Schlag. Damit ist die Notwehrhandlung zwar geeignet, aber nicht das relativ mildeste Mittel.


Ein Erlaubnistatbestandsirrtum liegt mangels einer Fehlvorstellung des Täters nicht vor.


D. In der Prüfung

§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB

I. Tatbestand

1. Grundtatbestand, § 223 Abs. 1 StGB (+)

2. Qualifikation, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (+)

II. Rechtswidrigkeit

1. Nothilfe, § 32 Abs. 1, Abs. 2 2. Alt StGB

a. Nothilfelage (+)

b. Nothilfehandlung

aa. Geeignetheit (+)

bb. relativ mildestes Mittel (-)

c. Zwischenergebnis

2. Zwischenergebnis

III. Schuld (+)

IV. Ergebnis (+)


E. Literaturhinweise

Fischer, Strafgesetzbuch, 71. Auflage 2024, § 32.

 

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