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Entscheidung der Woche 38-2024 (ÖR)

Laura Minneker

Bei der Anwendung der § 185 ff. StGB verlangt Art. 5 Abs. 1 S. 1 eine Ermittlung des Sinns der infrage stehenden Äußerungen.

Aktenzeichen und Fundstelle

Az.: BVerfG, Beschl. v. 04.04.2024 - 1 BvR 820/24

in: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/Entscheidungen/DE/2024/04/rk2024040_1bvr082024.html

 

A. Orientierungs- oder Leitsätze

1. Bei der Anwendung der § 185 ff. StGB verlangt Art. 5 Abs. 1 S. 1 eine Ermittlung des Sinns der infrage stehenden Äußerungen.

2. Wenn im Zuge dessen unzutreffend eine Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik angenommen wird mit der Folge, dass die Äußerung nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind, wird die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit verkannt.

3. Der Schutz betroffener Rechtsgüter Dritter tritt umso mehr zurück, je weniger sich die Äußerung privat auf die Verfolgung eigennütziger Ziele richtet und so mehr sie einen Beitrag zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage darstellt.

4. Die Äußerung ein jemand sei "korrupt" kann in einem stellungbeziehenden Gesamtkontext des Dafürhaltens oder Meinens stehen und deshalb vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 umfasst sein.


B. Sachverhalt

Im Herbst 2020 taten sich in Bayern mehrere Klimaaktivisten zusammen, um gegen die Rodung des sog. Lohwaldes nähe Augsburg zu protestieren. Dieser sollte zur Erweiterung eines Stahlwerkes weichen und stand zuvor als sog. Bannwald unter besonderem Schutz bis zu einer Ausnahmegenehmigung zur Rodung durch die Bezirksregierung.

Im Rahmen ihrer Demonstrationen "besetzten" die Aktivisten – darunter der Beschwerdeführer – die Bezirksregierung von Schwaben und hängten hierbei Banner auf, auf denen u.A. "Lohwald-Rodung trotz laufender Gerichtsverfahren? Frech!" stand. Außerdem warfen sie dem damaligen Regierungspräsidenten von Schwaben Korruption vor. Dieser würde laut ihnen den Wald für 250 Euro an den Eigentümer des Stahlwerks "verhökern". Das Amtsgericht Augsburg verurteilte daraufhin den Beschwerdeführer wegen übler Nachrede gegen Personen des politischen Lebens in Tateinheit mit Hausfriedensbruch zu drei Wochen Jugendarrest, woraufhin das LG Augsburg die Entscheidung bestätigte.

Gegen dieses Urteil legte der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde ein und beantragte den Erlass einer einstweiligen Anordnung, woraufhin das Bundesverfassungsgericht der Beschwerde statt gab, das vorangegangene Urteil aufhob und die Sache zur erneuten Verhandlung zurückwies. Damit erledigte sich nunmehr auch Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.


C. Anmerkungen

Das Bundesverfassungsgericht hält die Verfassungsbeschwerde für offensichtlich begründet. Das Amtsgericht Augsburg bezog sich in seinem Urteil zwar auch auf den Art. 5 Abs. S. 1 GG , sah dessen Grenze jedoch in dem Recht auf persönliche Ehre des Betroffenen. Das Recht des Beschwerdeführers trete hinter dem des Betroffenen zurück, da dieser von massiven Konsequenzen in seiner politischen und und beruflichen Sphäre betroffen sei. Das Bundesverfassungsgericht aber stellt fest, dass beide Instanzgerichte, das AG und das LG Augsburg, den Schutzgehalt des Grundrechts verkürzen, indem sie mit einer verfassungsrechtlich ungenügenden Begründung eine nicht erweislich wahre, ehrverletzende Tatsachenbehauptung i.S.d. § 186 StGB annehmen. Dabei verweist es auf vorherige Urteile, in denen es über die maßgeblichen Fragen bereits geurteilt hat. Es stellt klar, dass eine Verletzung der Meinungsfreiheit auch darin liegen kann, dass der Sinn der relevanten Äußerung nicht zutreffend erfasst wurde. Für den zu ermittelnden Sinn ist nicht das subjektive Verständnis des Äußernden oder Betroffenen maßgeblich, sondern das eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittpublikums. Es sei nicht ausgeschlossen, dass das Amtsgericht oder Landgericht bei Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Anforderungen vom Vorliegen einer durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 geschützten Meinung zu einer anderen Entscheidung kommt. Abschließend betont das Gericht, dass es damit nicht entschieden ist, ob die Aussage an sich im Ergebnis von der Meinungsfreiheit geschützt war, sondern verweist die Sache nach Augsburg zurück. Es weist zudem darauf hin, dass wenn ein Werturteil vorliegen sollte, jedenfalls eine Beeinträchtigung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Betroffenen vorläge. Ob die Äußerung des Beschwerdeführers dann noch von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, entscheidet sich nach Maßgabe einer erneuten Abwägung.


D. In der Prüfung

Urteilsverfassungsbeschwerde

I. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde

II. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde

(P) Verletzung des Art. 5 Abs. 1 S. 1


E. Literaturhinweise

https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bverfg-verfassungsbeschwerde-klimaaktivist-klimaschutz-verurteilung-ueble-nachrede-meinungsfreiheit-samuel-bosch

Eppner/Hahn, JA 2006, 702.

 

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