Entscheidung der Woche 41-2022 (ZR)
Anika Brämer
Zur Reichweite der Haftung des Halters eines Kraftfahrzeugs mit Arbeitsfunktion nach § 7 Abs. 1 StVG
Aktenzeichen & Fundstelle
Az.: BGH VI ZR 726/20
in: RÜ 12/2021, 770
NJW 2022, 624
MDR 2022, 27
NZV 2022, 389 (Anmerkung Pletter)
JA 2022, 251 (Entscheidungsbesprechung Schrader)
A. Orientierungs- oder Leitsatz
1. Zur Reichweite der Haftung des Halters eines Kraftfahrzeugs mit Arbeitsfunktion nach § 7 Abs. 1 StVG (Schadensverursachung durch einen von einem Traktor angetriebenen Kreiselmäher beim Mähen einer als Weideland genutzten Wiesenfläche; Anschluss an Senatsurteil vom 24. März 2015 – VI ZR 265/14, VersR 2015, 638).
2. Wird eine Person durch einen von einem Traktor angetriebenen Kreiselmäher beim Mähen einer als Weideland genutzten Wiesenfläche durch einen hochgeschleuderten Stein verletzt, ist eine Haftung des Traktorhalters nach § 7 Abs. 1 StVG zu verneinen, weil das Risiko, das sich in diesem Fall verwirklicht hat, nicht in den Schutzbereich des § 7 StVG fällt.
B. Sachverhalt
B mähte mit seinem Traktor mit Kreiselmäher eine als Weideland genutzte Fläche. K hielt sich auf einem angrenzenden Grundstück in ca. 50 m Entfernung auf. Er wurde durch einen Stein am rechten Auge getroffen und schwer verletzt. Dieser war durch den Kreiselmäher bei den Mäharbeiten in seine Richtung geschleudert worden. K begehrt aufgrund dessen Schadensersatz von der Kfz-Haftpflichtversicherung des B.
C. Anmerkungen
Der BGH knüpft mit dieser Entscheidung an seine Rechtsprechung zur Realisierung der Betriebsgefahr bei Fahrzeugen mit Arbeitsfunktion an. Das Merkmal „bei dem Betrieb des Kfz“ ist unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls und des Schutzzwecks der Norm im Allgemeinen weit auszulegen. Es kommt darauf an, ob der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht. Bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktion ist erforderlich, dass ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kraftfahrzeuges als eine der Fortbewegung und dem Transport dienende Maschine (vgl. § 1 Abs. 2 StVG) besteht. Dies ist nicht der Fall, wenn die Funktion als Arbeitsmaschine im Vordergrund steht, was der BGH im vorliegenden Fall annahm, da das Unfallgeschehen lediglich dem Bestellen der landwirtschaftlichen Fläche diente und sich nicht auf einer öffentlichen oder privaten Verkehrsfläche ereignete. Ein Zusammenhang kann jedoch zu bejahen sein, wenn die Maschine gerade während der Fahrt bestimmungsgemäß Arbeiten verrichtet (vgl. BGH VI ZR 115/04: Hochschleudern eines Steins durch ein auf dem Seitenstreifen entlangfahrendes Mähfahrzeug). Für die Abgrenzung ist auch von Bedeutung, ob der Einsatz auf oder nahe von Straßenverkehrsflächen stattfand.
Man sieht, dass die Feststellung des Zurechnungszusammenhangs in den Fällen des § 7 StVG nicht einfach ist. Es müssen alle Umstände des Einzelfalles einbezogen und nach dem Schutzzweck der Norm abgewogen werden. Gerade deshalb ist die Problematik nicht nur Gegenstand zahlreicher Urteile, sondern auch ein beliebtes Thema in Examensklausuren, so dass es nicht schaden kann, sich möglichst viele der Konstellationen anzusehen, um ein Gefühl für die Einordnung zu bekommen. Die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht könnte man mit guter Begründung auch annehmen. Das Berufungsgericht hatte dies aufgrund des 50 m Abstandes abgelehnt, was vom BGH nicht beanstandet wurde.
D. In der Prüfung
I. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG iVm § 7 Abs. 1 StVG
1. Körper- und Gesundheitsverletzung
2. Bei dem Betrieb des Kfz
a. Äquivalenz
b. Realisierung der typischen Betriebsgefahr (P)
aa. maschinentechnische Auffassung
bb. verkehrstechnische Auffassung
cc. fehlender Zurechnungszusammenhang (P)
II. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG iVm § 18 Abs. 1 StVG
III. § 115 Abs.1 S.1 Nr.1 VVG iVm § 823 Abs.1 BGB
1. Körper- und Gesundheitsverletzung
2. Verhalten des B
a. Unterlassen
b. allgemeine Verkehrssicherungspflicht
E. Literaturhinweise
Witt, Halterhaftung bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktion, NJW 2022, 579;
Näher zu Verkehrs(sicherungs)pflichten s. MüKoBGB/Wagner, 8. Auflage 2020, § 823 Rn. 433ff.