top of page

Entscheidung der Woche 47-2023 (SR)

Johanna Lange

Heimtücke i.S.d. § 211 II 2. Gruppe 1. Alt StGB erfordert kein heimliches Vorgehen des Täters.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az: BGH 2 StR 320/22

in: NStZ 2023, 545

 

A. Redaktionelle Leitsätze

1. Heimtücke i.S.d. § 211 II 2. Gruppe 1. Alt StGB erfordert kein heimliches Vorgehen des Täters.

2. Auch Vorbereitungshandlungen können die Arg - und Wehrlosigkeit des Opfers begründen.

3. Arglos ist, wer nicht mehr fliehen kann.


B. Sachverhalt

T und O hatten eine durch Gewalt geprägte Affäre, während T mit B verheiratet war. Beide Beziehungen waren geprägt von Kontrollzwang und toxischen Verhaltensmustern seitens T, er bedrohte beide Frauen mit dem Tode. Eines Abends holte T bei B, die sich mittlerweile mit ihm in einem Scheidungsprozess befand, eine halbautomatische Schusswaffe ab und fuhr mit O erst tanken, dann an einen unbekannten Ort. Dort schoss er mittels der zuvor besorgten Schusswaffe aus einer Entfernung von höchstens einem Meter entweder von hinten oder durch das geöffnete Beifahrerfenster oder durch die geöffnete rückwärtige Beifahrertür zwei Mal in den Kopf von O, in der Absicht sie zu töten. Wo sich T und O zueinander befanden konnte nicht abschließend geklärt werden. Auch die Reihenfolge der Schüsse konnte nicht festgestellt werden. O starb vor Ort und wurde von T und einem Freund verbrannt. Nur noch ihre verkohlten Überreste konnten durch Spaziergänger gefunden werden.

Strafbarkeit von T nach §§ 212 I, 211 StGB?


C. Anmerkungen

Problematisch ist hier vor allem das Vorliegen des Mordmerkmals der Heimtücke i.S.d. § 211 II 2. Gruppe 1. Alt StGB. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und die dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist ein Opfer, das sich keines Angriffs gegen seine körperliche Unversehrtheit versieht. Die Arglosigkeit führt zur Wehrlosigkeit, wenn das Opfer aufgrund der Überraschung durch den Täter in seinen Abwehrmöglichkeiten so erheblich eingeschränkt ist, dass ihm die Möglichkeit genommen wird, dem Angriff auf sein Leben erfolgreich zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Argund Wehrlosigkeit des Opfers ist grundsätzlich der Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs. Der Angriff beginnt aber nicht erst mit der eigentlichen Tötungshandlung, sondern schon in der unmittelbar zuvor kommenden Phase.

Der Angriff auf O seitens T begann demnach nicht erst bei Schussabgabe, sondern zumindest bereits mit Ziehen der Waffe bzw. kurz vor dieser Handlung. Weiterhin erfordert ein heimtückisches Vorgehen kein heimliches Handeln. Ein Opfer, welchem der Täter zwar offenkundig feindselig gegenübertritt, aber für welches die Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff so kurz ist, dass ihm keine Möglichkeit bleibt, den Angriff in irgendeiner Art abzuwehren, ist ebenso arglos. Heimtückisch handelt der Täter auch, wenn er Vorkehrungen ergreift um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen; also er das Opfer unter Ausnutzung seiner Arglosigkeit während bloßen Vorbereitungshandlungen in eine Lage bringt, aus der sich das Opfer nicht mehr retten kann. Demnach brachte T die O durch das Fahren an einen unbekannten Ort unter Ausnutzung ihrer Arglosigkeit gegenüber ihrem Partner in eine Situation, aus der O sich nicht mehr retten konnte. T besorgte sich die Schusswaffe zudem unmittelbar bevor er mit O zu dem späteren Tatort fuhr; ob O zwischen Bedrohung mit der Schusswaffe und Schussabgabe überhaupt die Möglichkeit hatte zu fliehen, ist nicht geklärt. Mithin handelte T zwar nicht heimlich, aber im Vorbereitungsstadium planmäßig verdeckend unter Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit von O. Heimtücke liegt vor.


D. In der Prüfung

Strafbarkeit gem. §§ 212 I, 211 II 2. Gruppe 1. Alt StGB

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a. Tatobjekt/Tathandlung

b. Kausalität

c. Objektive Zurechnung

2. Subjektiver Tatbestand

a. Mordmerkmal Heimtücke, § 211 II 2. Gruppe 1. Alt StGB

b. Vorsatz

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

IV. Ergebnis (+)


E. Literaturhinweise "Arglos ist, wer nicht mehr fliehen kann: BGH zur Frage "Mord oder Totschlag?" bei Tötung einer Beifahrerin", LTO v. 29.06.2023 (https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bgh-2str32022-mord-heimtuecke-arglos-wehrlos-schuss-kopfschuss-zeitpunkt-examen-totschlag/ , Aufruf vom 12.11.2023);

Münchner Kommentar Strafgesetzbuch/Schneider, 4. Auflage 2021, § 211 Rn. 149 ff.

 

bottom of page