Entscheidung der Woche 49-2024 (SR)
Adina Sophie Hauck
Mehrere Angriffe auf die Willensentscheidung eines Opfers können als einheitliche Tat bewertet werden, wenn sie demselben Ziel dienen.
Aktenzeichen und Fundstelle
Az.: BGH, Beschluss vom 04.07.2023 - 2 StR 167/23
Fundstelle: openJur 2023, 8330
Vorinstanz: LG Gießen, Urt. v. 12.12.2022
A. Orientierungs- oder Leitsätze
Mehrere Angriffe auf die Willensentscheidung eines Opfers können als einheitliche Tat bewertet werden, wenn sie demselben Ziel dienen.
B. Sachverhalt
Der Angeklagte versuchte Ende des Jahres 2020 vom Zeugen P Schulden aus einem Drogengeschäft einzutreiben, indem er diesem - zusammen mit anderen - ins Gesicht schlug. Im März 2021 versuchte der Angeklagte die selbe Forderung erneut in die Tat umzusetzen, indem er P unter einem Vorwand in ein Fahrzeug lockte und ihn darin an einen entfernteren Ort brachte, um ihm dort zusammen mit seinen Mittätern erneut ins Gesicht zu schlagen und ihn mit einer echt aussehenden Softair-Maschinenpistole zu bedrohen. Der Zeuge P, der mit Hinweis auf seine "mächtige" Familie eine Zahlung verweigerte, konnte fliehen. Die zurückgelassenen 80g Marihuana nahm der Angeklagte zum Zwecke des Eigenkonsums an sich.
C. Anmerkungen
Beide Taten des Angeklagten verfolgten das gleiche Ziel, nämlich die Zahlung der "Schulden" aus dem Drogenhandel. Der BGH führte aus, dass eine rechtliche Bewertungseinheit dann vorliegt, wenn mehrere Handlungen dasselbe Ziel verfolgen, eine sukzessive Tatausführung darstellen oder zeitliche oder räumliche Trennungen nicht zu einer Zäsur führen, solange das ursprüngliche Ziel weiterverfolgt wird. Vorliegend sind diese Kriterien erfüllt, da der Angeklagte für die zweite Tat keinen neuen Tatentschluss fasste, sondern den ursprünglichen Tatplan nur durch den Einsatz anderer Mittel und erhöhter Gewalt modifizierte. Das Ziel der beiden Taten blieb gleich. Die Handlungen des Angeklagten von Ende 2020 und März 2021 wurden somit als einheitliche Tat im Rechtssinne gewertet. Der BGH stellte klar, dass eine rechtliche Bewertungseinheit erst dann endet, wenn das Ziel des Täters erreicht ist oder ein Rücktritt aufgrund eines fehlgeschlagenen Versuchs anzunehmen ist. Der zweite Versuch des Angeklagten, die Zahlung der "Schulden" des P. zu erlangen scheiterte endgültig, als der Zeuge P. nach der Gewaltanwendung die Zahlung verweigerte und fliehen konnte. Somit wurde der Schuldspruch so geändert, dass die zwei Erpressungsversuche des Angeklagten zu einer rechtlichen Bewertungseinheit zusammengeführt wurden. Die Einzelstrafen wurden aufgehoben, da diese fehlerhaft bemessen worden waren, und der Gesamtstrafausspruch wurde zur Neuverhandlung zurückverwiesen.
D. In der Prüfung
I. Feststellung der Taten (Tatmehrheit, § 53 StGB oder Tateinheit, § 52 StGB)
II. Prüfung von Tateinheit oder Tatmehrheit
1. Natürliche Handlungseinheit (-)
2. Rechtliche Bewertungseinheit
III. Einheitliches Ziel (+)
IV. Sukzessive Tatausführung (+)
V. Keine Zäsur (+)
VI. Ergebnis: Tateinheit nach §52 StGB
E. Literaturhinweise
BGHSt 2, 344.
Rengier, Strafrecht AT, § 27 Rn. 41.
Rengier, Strafrecht BT I, 12. Auflage 2020, Kapitel "Raub und Erpressung".