Entscheidung der Woche 51-2024 (ZR)
Chiara Schoop
Ein Fitnessstudio-Betreiber verletzt nicht die Verkehrssicherungspflicht, wenn eine Slackline in einer auffälligen, signalroten Farbe in einem Freestyle-Bereich gespannt ist und ein durchschnittlich aufmerksamer Kunde sie erkennen kann.
Aktenzeichen und Fundstelle
Az.: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 05.08.2021 - 16 U 162/20
Fundstelle: NJW-RR 2021, 1604
A. Orientierungs - oder Leitsätze
1. Ein Fitnessstudio-Betreiber verletzt nicht die Verkehrssicherungspflicht, wenn eine Slackline in einer auffälligen, signalroten Farbe in einem Freestyle-Bereich gespannt ist und ein durchschnittlich aufmerksamer Kunde sie erkennen kann.
2. Verkehrssicherungspflichtig ist nur der Schutz vor Gefahren, die über das übliche Risiko hinausgehen und vom Benutzer nicht vorhersehbar sind. Nicht alle denkbaren Gefahren müssen vermieden werden.
3. In einer Freestyle-Area müssen Benutzer mit Hindernissen wie herumliegenden Geräten oder anderen Personen rechnen. Eine solche Area stellt keine typische Verkehrsfläche ohne Hindernisse dar.
4. Auch bei teilweiser körperlicher Erschöpfung durch sportliche Übungen wird erwartet, dass die besondere Umgebung bewusster wahrgenommen wird.
B. Sachverhalt
Die Beklagte (B) betreibt ein Fitnessstudio. In diesem hat sie eine von ihr als "Free-Style-Zone" bezeichnete Fläche errichtet. Auf dieser Fläche befanden sich verschiedenste Geräte, welche die Kunden frei verwenden konnten. Die Beklagte spannte in ca. 50 cm Höhe zwischen zwei ca. 8 m voneinander entfernten Säulen eine sogenannte Slackline. Dies ist ein Art Seil, auf welchem balanciert werden kann. Die Slackline hatte eine signalrote Farbe und hob sich deutlich vom Boden des Fitnessstudios ab. Die damals 74-jährige Klägerin (K) stolperte über die Slackline und erlitt Frakturen am Schienbein und am Wadenbein.
Daraufhin nahm die Klägerin die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch.
C. Anmerkungen
Der Fitness- und Studiosportvertrag ist ein typengemischter Vertrag, der sich sowohl aus miet- als auch aus dienstvertraglichen Elementen im Sinne des Grundsatzes der Parteiautonomie nach § 311 Abs. 1 BGB zusammensetzt.
Die Klägerin K ist befugtermaßen mit der Gefahrenquelle, also der Slackline, in Berührung gekommen. Indem B die Slackline spannte, schaffte sie eine Gefahr für die Kunden, welche die Fläche betraten und über die Slackline stürzen könnten.
Es bestand eine Verkehrssicherungspflicht. Die Beklagte B müsste die erforderlichen und zumutbaren Sicherungsmaßnahmen unterlassen haben. Dabei erstreckt sich die Verkehrssicherungspflicht nur auf Gefahren, die über das übliche Risiko hinausgehen und für den Nutzer nicht erkennbar sind. Speziell ein Studiobetreiber braucht nicht alle denkbaren Gefahren verhindern.
In einem Freestyle-Bereich eines Fitnessstudios müssen Nutzer mit Hindernissen wie Geräten oder anderen Personen rechnen; solche Bereiche sind keine klassischen verkehrsfähigen Flächen ohne Hindernisse.
Die Erkennbarkeit eines Hindernisses hängt von dessen Auffälligkeit, wie z.B. einer signalroten Farbe, und der Umgebung ab, wobei das Gericht auf die objektive Sichtbarkeit abstellt.
D. In der Prüfung
I. Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 253 Abs. 2 BGB
1. Schuldverhältnis
2. Pflichtverletzung (Schutzpflicht, § 241 Abs. 2 BGB)
a. Bestehen einer Verkehrssicherungspflicht
b. Gegenüber K
c. Verletzung der Verkehrssicherungspflicht
II. Schadensersatz aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB
III. Schadensersatzanspruch aus § 831 Abs. 1 i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB
Hinweis: Sowohl der Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB als auch aus § 831 Abs. 1 i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB scheidet aus, da die vertraglichen Schutzpflichten mit den deliktischen Verkehrssicherungspflichten deckungsgleich sind.
E. Literaturhinweise
Graf v. Westphalen, in: Graf v. Westphalen/Thüsing VertrR/AGBKlauselwerke, Fitness- und Sportstudiovertrag Rn. 2.