Entscheidung der Woche 52-2024 (SR)
Anna Bredemeier
Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Ohne Bedeutung ist dabei, ob das Opfer die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt.
Aktenzeichen und Fundstelle
Az.: BGH Urt. v. 01.02.2024 - 4 StR 287/23
Fundstelle: NJW 2024, 241; VRS 147, 169; ZfS 2024, 345
A. Orientierungs- oder Leitsätze
1. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Ohne Bedeutung ist dabei, ob das Opfer die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt.
2. Arg- und Wehrlosigkeit können auch gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Opfer aber gleichwohl in der Tatsituation nicht mit einem erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit rechnet.
3. Das Opfer kann auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen.
B. Sachverhalt
A wurde auf einem Parkplatz in seinem Auto sitzend von K angesprochen. Dieser bat ihn, ihm ein Gramm Cannabis zu verkaufen. A sagte die spätere Lieferung des Rauschgifts durch einen Dritten zu. K, der das Cannabis sofort konsumieren wollte, geriet in Wut. Er schlug A nach einer verbalen Auseinandersetzung ins Gesicht und nannte ihn einen "räudigen Hund". A wollte die Demütigung nicht auf sich beruhen lassen und beschloss, unter Einsatz des von ihm geführten Kraftfahrzeugs den K anzufahren. A verließ den Parkplatz, wobei er die Vorfahrt missachtete. Um eine Kollision mit einem anderen Auto zu vermeiden, musste er scharf abbremsen. K nahm diese Bremsgeräusche wahr und sah, dass A mit dem Auto auf ihn zufuhr. Dabei hielt er es für möglich, dass A ihm folgen könnte, um ihm Angst einzujagen. Mit einer körperlichen Auseinandersetzung rechnete er nicht. Er führte seinen Weg unbeirrt fort. A beschleunigte nun sein Fahrzeug und lenkte es mit rund 50 km/h gezielt auf den Gehweg. K sah sich kurz vor der Kollision noch einmal um und sah, dass A auf ihn zusteuerte. Ihm verblieb aber keine Zeit, noch auszuweichen. Tatplangemäß erfasste A den K mit dem Kfz, wodurch K mehrere Verletzungen erlitt. A nahm an, ihn getötet zu haben.
C. Anmerkungen
Der BGH bestätigte ein heimtückisches Handeln im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB des A. Zwar ging dem Tatgeschehen zwischen A und K eine verbale und körperlich geführte Auseinandersetzung voraus. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung verhielt sich der Angeklagte aber zurückhaltend, passiv und ängstlich.
K erwartete nach der aus seiner Sicht beendeten Auseinandersetzung keinen erheblichen Angriff gegen seine körperliche Integrität, sondern rechnete allenfalls damit, dass der ihm körperlich unterlegene A ihn angesichts seines vorangegangenen Verhaltens zur Rede stellen oder ihm "Angst einjagen" könne. K rechnete somit nicht mit einem Angriff auf sein Leben oder einem erheblichen Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit. Dass er sich unmittelbar vor der Kollision umwandte und den Angriff daher in letzter Minute wahrnahm, stellt seine Arglosigkeit nicht in Frage, weil die verbleibende Zeitspanne zu kurz war, um der nunmehr erkannten Gefahr zu begegnen. Diese Annahme wird daraus gefolgert, dass K dem A den Rücken zuwandte und seinen Weg unbeirrt fortsetzte, ohne die Möglichkeit einer Flucht zu ergreifen.
Auch das Ausnutzungsbewusstsein des A wird bejaht. Dafür spricht die Höchstgefährlichkeit der Angriffsweise.
D. In der Prüfung
§§ 211 Abs. 2, 22, 23 StGB
I. Vorprüfung
II. Tatentschluss
1. Taterfolg
2. Heimtücke
3. Kausalität
4. objektive Zurechnung
III. Unmittelbares Ansetzen
IV. Rechtswidrigkeit
V. Schuld
E. Literaturhinweise
Balke/Frese/Koehl, NJ 2024, 245 (241 f).