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Entscheidung der Woche Woche 06-2025 (SR)

Morris Timme

"K.O.-Tropfen können nicht als Werkzeug im Sinne von strafrechtlichen Vorschriften verstanden werden, ohne die von Art. 103 Abs. 2 GG vorgegebene Wortlautgrenze zu verletzen.

Aktenzeichen und Fundstelle

Az.: BGH 5 StR 382/24

Fundstelle: BeckRS 2024, 30935 RÜ 2/25, 83

 

A. Orientierungs- oder Leitsätze

"K.O.-Tropfen" können nicht als Werkzeug im Sinne von strafrechtlichen Vorschriften verstanden werden, ohne die von Art. 103 Abs. 2 GG vorgegebene Wortlautgrenze zu verletzen.


B. Sachverhalt

Die L besuchte mit ihrer Freundin N den A, welchen sie aus der Swingerszene kannte, und dessen Verlobte, um dort die Nacht zu verbringen. Während der Abendstunden entschloss sich A, die erheblich alkoholisierte N und seine Verlobte mittels heimlicher Verabreichung von Gamma-Butyrolacton (GBL) zu enthemmen. Nachdem die beiden Frauen nichts ahnend ein von A mit GBL versetztes Getränk getrunken hatten, setzte die von A erwünschte Wirkung ein. N und die Verlobte des A, welche sonst introvertierte Gemüter haben, begannen im Wohnzimmer ausgelassen zu tanzen und zogen sich im weiteren Verlauf des Abends gegenseitig aus, woraufhin sie sich auf der Couch küssten. A hielt es für möglich, dass die beiden Frauen durch die Einnahme des manipulierten Getränks in einen Bewusstseinszustand bis zur Bewusstlosigkeit versetzt werden könnten und nahm dies billigend in Kauf. Zudem war dem A bewusst, dass die Verabreichung der GBL-Tropfen, welche später im Körper zu Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB, bekannt als "K.O.-Tropfen") umgewandelt werden, erhebliche Gesundheitsrisiken bis hin zur Gefahr des Todes nach sich ziehen kann. Die beiden Frauen, die ein für sich wesensfremdes Verhalten aufzeigten, wurden später von A schlafend im Garten, nicht ansprechbar und nur mit einem nassen Bademantel bekleidet, aufgefunden. Beide waren aufgrund der Übelkeit und der Bewusstseinsveränderung dem Risiko des Erstickens ausgesetzt.


C. Anmerkungen

Der BGH beschäftigte sich im vorliegenden Fall mit der Frage, ob es sich bei den "K.O.-Tropfen" (GBL), um ein gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB handelt. Vorweg wurde festgestellt, dass A durch Verabreichung der Tropfen die Gesundheit der Frauen geschädigt hat und es sich bei den Tropfen um ein Gift i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB handelt. Nach Auffassung des Senats handelt es sich bei einem Werkzeug um einen für bestimmte Zwecke gefertigten Gegenstand, mit dessen Hilfe etwas bearbeitet wird. Da unter einem Gegenstand jedoch nur feste Körper verstanden werden, können Flüssigkeiten, wie GBL-Tropfen, kein Werkzeug i.S.d. der strafrechtlichen Vorschriften sein, ohne die sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebende Wortlautgrenze zu verletzen. Auch die Systematik des § 224 StGB widerspricht diesem Ergebnis nicht, da § 224 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB in keinem Spezialitätsverhältnis stehen. Auch teleologische Gründe, wie die vergleichbare Gefährlichkeit, können zu keinem anderen Ergebnis führen, da auch dann die Wortlautgrenze nicht außer Acht gelassen werden darf. Auch die zur Verabreichung der GBL-Tropfen verwendete Pipette stellt kein gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB dar, da sie nicht geeignet war, unmittelbar und von außen einwirkend eine Körperverletzung zu verursachen.

A nutzte die Pipette lediglich als Dosierungshilfe und brachte die Tropfen nicht unmittelbar den Körpern der Frauen bei. Auch hatte die für sich genommen in der konkreten Verwendungsart ungefährliche Pipette keinen Kontakt zu den Körpern der Frauen. Indes wurde die Verabreichung der "K.O.-Tropfen" durch A an die beiden Frauen von dem BGH als hinterlistiger Überfall gem. § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB und als eine mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begangenen Körperverletzung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB klassifiziert, da durch das Erstickungsrisiko sogar eine konkrete Lebensgefahr bestand. A handelte auch vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft, sodass er sich wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 Abs. 1 i.V.m. 224 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 5 StGB strafbar gemacht hat. Im Übrigen wird durch die Verabreichung auch nicht der Tatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB erfüllt. Ob durch die Verabreichung der Tropfen bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen der Tatbestand des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB erfüllt ist, wird mit Blick auf den hohen Strafrahmen derzeit rechtspolitisch diskutiert.


D. In der Prüfung

I. Strafbarkeit gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 StGB

1. Tatbestand

a) Objektiver Tatbestand

aa) Einfache Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB

bb) Gefährliche Körperverletzung gem. § 224 Abs. 1 StGB

(1) Gift, § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB

(2) Gefährliches Werkzeug, § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB

(a) GBL-Tropfen ("K.O."-Tropfen)

(b) Pipette

(3) Überfall, § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB

(4) Lebensgefährdende Behandlung, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB

b) Subjektiver Tatbestand

2. Rechtswidrigkeit

3. Schuld

II. Ergebnis


E. Literaturhinweise

Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB. 30. Aufl. 2019, § 224 Rn. 10

NStZ 2009, 505

BeckRS 2012, 3911

 

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